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Viele Mieter*innen sind von immensen Nachzahlungen betroffen und fordern eine Regulierung der Wärmepreise

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Knut Unger,

Demo gegen VONOVIA und Co. im April 2022 in Bochum
Demo gegen VONOVIA und Co. im April 2022 in Bochum Foto: IMAGO / Funke Foto Services / Klaus Pollkläsener

Der Wohnungskonzern Vonovia SE forderte in den vergangenen Wintern Heizkostennachzahlungen in Höhe von bis zu mehreren tausend Euro. In einigen Wohngebieten haben sich die betroffenen Mieter*innen zusammengeschlossen. Gemeinsam verlangen sie die Einsichtnahme in die vollständigen Belege und halten die Nachzahlungen zurück. Bundesweit fordern sie von Vonovia den Verzicht auf die hohen Nachforderungen und von Politiker*innen eine schärfere Regulierung der Wärmepreise. Erste Teilerfolge haben sie erzielt. Was sind die Gründe für die Kostenexplosion? Wie kann sie kurfristig und auf Dauer abgewehrt werden?

Knut Unger ist hauptamtlich Mitarbeiter des MieterInnenvereins Witten u. Umg. e.V. Er ist zudem bei der Plattform kritischer Immobilienaktionär*innen und dem bundesweiten MieterInnenbündnis VoNO!via & Co. aktiv.

Als die Bottroper Mieterin Marina Scharnowski Ende März 2023 einen Brief ihrer der Vonovia öffnete, traute sie ihren Augen nicht: Sie sollte fast 1.400 Euro nachzahlen. Die jährlichen Heizkosten, die in den vorangegangenen Jahren immer bei etwa 500 Euro lagen, sollten auf einmal auf 2.742,84 Euro gestiegen sein. Bis heute versteht niemand in der Nachbarschaft, wie es zu dieser Kostenexplosion kommen konnte.

Marina Scharnowski organisierte sich gemeinsam mit ihren Nachbar*innen. Sie protestierten in der Öffentlichkeit, verlangten die vollständigen Belege, behielten die Nachforderungen zurück, forderten ihre Streichung und luden Vonovia-Chef Rolf Buch bei der Aktionärsversammlung dazu ein, mit den Mieter*innen und der Stadt eine dauerhaft bezahlbare Lösung für die Wärmeversorgung zu erarbeiten. Er kam nicht. Im Sommer 2023 jedoch zog Vonovia die hohen Nachforderungen zurück und verlangte nur noch kleinere Restbeträge. Aus «Kulanz», so der Wohnungskonzern, verzichte er in dem Bottroper Wohnviertel auf 267.000 Euro. Die Mieter*innen glauben nicht an «Kulanz». Und sie befürchten mit der nächsten Abrechnung einen neuen Kostenschock.

Mit ihrer Wut und ihren Befürchtungen sind sie nicht allein. Aus zwei Vonovia-Wohngebieten in Stuttgart wurden Heizkostennachforderungen in Höhe von bis zu über 4.000 Euro bekannt. Im September 2023 erhielten Mieter*innen in Berlin-Wedding und später auch in Berlin-Tempelhof Nachforderungen von bis zu 6.000 Euro. In Berlin-Mariendorf-Ost forderte Vonovia kurz vor Weihnachten sogar bis zu mehr als 8.000 Euro. In Göttingen-Grone, hier ist die LEG Immobilien SE die Vermieterin, lagen die Forderungen noch höher. All diese Fälle haben vier Gemeinsamkeiten:

Erstens, das «Wärme-Contracting». Vermieter*innen übertragen ihre Heizzentralen an Dritte, etwa an die Unternehmen Techem, Vattenfall oder G+D. Diese so genannten gewerblichen Wärmelieferanten wollen damit natürlich Gewinne erzielen.

Zweitens, mathematische Preisklauseln. Die gewerblichen Wärmelieferanten verlangen für die mit Gas erzeugte Wärme Preise, die nicht, wie bei der klassischen Zentralheizung, auf tatsächlichen Brennstoffkosten beruhen, sondern auf vertraglich vereinbarten Preisklauseln mit automatischem Anpassungsmechanismus.

Drittens, die Börsenpreisorientierung. Die Formeln für die Arbeitspreise der Wärme enthalten in allen bekannt gewordenen Fällen Bindungen an Preisindexe der Leipziger Gasbörse EEX. Diese waren in den Jahren 2021 und 2022 um ein Mehrfaches stärker gestiegen als die durchschnittlichen Gaspreise der Endverbraucher.

Viertens, der Widerstand der Mieter*innen. In den aufgeführten Wohngebieten (und einigen mehr) haben sich in kurzer Zeit Nachbarschaftsgruppen gebildet, die gemeinsam die Einsichtnahme in sämtliche Belege fordern und bis dahin die hohen Nachforderungen und die Erhöhungen der Vorauszahlungen zurückbehalten.

Das sind keine rein juristischen Auseinandersetzungen. Die Mieter*innen haben Offene Briefe mit Forderungen an Vonovia verfasst. Sie haben Presseaktionen und Kundgebungen organisiert und von Bundestagesabgeordneten Stellungnahmen zu ihren Forderungen erfragt. Die betroffenen Nachbarschaftsgruppen und Mieterorganisationen stimmen sich bundesweit ab. Im Wahlkampf zur Berliner Wiederholungswahl Anfang Februar 2023 nahmen Politiker*innen das Thema auf und überboten sich darin, Änderungen am intransparenten System der Wärmepreise zu versprechen.

Faktoren der Heizkostenexplosion

Die Vermieterseite hat ein ökonomisches Interesse daran, die Kosten des Heizungsbetriebs auf die Mieter*innen abzuwälzen. Ob dabei alles mit rechten Dingen zugeht, können die Mieter*innen durch Einsichtnahme in die Kosten-Belege überprüfen. Solange ihnen diese Einsicht nicht gewährt wird, können sie die Nachforderungen zurückbehalten. So weit, so klar. Doch im Fall der Wärmelieferung bei Vonovia kommen mehrere Faktoren hinzu, die die grundsätzliche Interessendifferenz zwischen Vermieter*innen und Mieter*innen verschärfen und besonders komplex machen.

Die Energieversorger wollen mit dem Verkauf von Energie einen möglichst hohen und sicheren Gewinn einfahren. Deren Kund*innen sind an einer sicheren, günstigen und preisstabilen Versorgung interessiert. Bei der Gas- und Stromversorgung soll der Markt diesen Interessenkonflikt lösen. Wem der Preis nicht passt, kann auf andere Anbieter wechseln. Um das zu ermöglichen, wurden Netz und Energieträger mühsam getrennt. Doch bei der Wärmelieferung über räumlich beschränkte, oft von einzelnen Heizzentralen belieferte Netze funktioniert das nicht. Denn hier ist der Versorger gleichzeitig Betreiber des Netzes und Energieträgerlieferant. Es bestehen «natürliche» Monopole.

Die Folgen tragen alle Verbraucher*innen, egal ob es Haushalte sind, die mit den Versorgern direkt Verträge abschließen müssen, oder Vermieter*innen, die die Wärme an ihre Mieter*innen weiterleiten und dafür die Kosten berechnen. Im letzten Fall treten die Vermieter*innen als weitere Instanz zwischen Wärmeversorger und Endverbraucher. Die Mieter*innen können zwar den Beleg über die tatsächlichen Kosten des Vermieters verlangen, nicht aber über die Kosten des Wärmelieferanten. Scheinbar machtlos stehen sie gleich drei Parteien mit gegenläufigen Interessen gegenüber: den Vermieter*innen, dem Wärmemonopolisten und dem Lieferanten der meist fossilen Primärenergie.

Große Wohnungskonzerne wie Vonovia haben außerdem die Möglichkeit, sich selbst in Energie- und Wärmelieferanten zu verwandeln (Insourcing) und so zusätzlich zu den Mieteinnahmen Energiegewinne zu erzielen. Aber auch durch Auslagerung selbst betriebener Heizungsanlagen (Outsourcing) können sie ihre Kosten senken. Der Interessengegensatz zwischen Vermieter- und Mieterseite ist, ähnlich wie der zwischen Belegschaften und Kapital, hier nicht individuell oder zufällig, er ist systematisch und innerhalb der bestehenden Eigentumsverhältnisse unaufhebbar.

Insourcing: Wenn der Vermieter gleichzeitig Energielieferant ist

Um die Einkommen nicht nur mittels der Miete, sondern auch mit Hilfe der Nebenkosten abzuschöpfen, bedienen sich Konzerne wie Vonovia oder LEG eines systematischen Tricks: Anstatt Dienstleistungen oder Energie am Markt zu Verbraucherpreisen anzukaufen, gründen sie eigene Tochterunternehmen, die günstig zu Großhandelspreisen einkaufen. Innerhalb des Konzerns werden deren Leistungen dann zu von der Konzernspitze festgelegten Preisen abgerechnet. Diese Rechnungen werden den Mieter*innen als Belege für die umgelegten Betriebskosten präsentiert. Vonovia und LEG nennen den entsprechenden Geschäftsbereich «Value Add». In ihren Geschäftsberichten rechnen sie den Anleger*innen vor, welche Überschüsse sie in diesem Segment erwirtschaftet haben: 115 Millionen Euro bei Vonovia und 50 Millionen Euro bei LEG, jeweils allein im Jahr 2022. Darin enthalten sind auch Gewinne aus dem Wärmegeschäft, die in der Logik des Mietrechts nicht vorgesehen sind.

In Witten (Ruhrgebiet) beliefert sich Vonovia selbst mit Gas, in diesem Fall über die 100-prozentige Tochtergesellschaft Vonovia Energie Service GmbH. Diese kann im großen Stil Gas zu Preisen einkaufen, die nicht über den durchschnittlichen Einkaufspreisen der übrigen Wohnungswirtschaft liegen dürften. Konzernintern aber berechnet sie den Vonovia-Vermietungsfirmen Preise, die oft noch über den Verbraucherpreisen der lokalen Grundversorger liegen. Der Vermietungskonzern ist zugleich sein eigener Energiekonzern. Markt findet nicht statt, Transparenz auch nicht.

Vonovia behauptet, die Energietochter sei rechtlich eigenständig. Sie müsse deshalb die tatsächlichen Kosten der Energie nicht offenlegen. Im Aktiengesetz, Paragraph 15ff., steht es anders.[1] Nach Ansicht von Mietrecht-Expert*innen sind Vonovia & Co. mit allen ihren Töchtern als einheitliche Vermieter zu betrachten.[2] Bei ihren selbstgeschriebenen Rechnungen handelt es sich demnach um unzulässige Eigenbelege. Die Konzerne sind verpflichtet, ihre tatsächlichen Kosten offen zu legen. Doch Vonovia & Co. weigern sich hartnäckig.

Outsourcing: Auslagerung der Heizungsanlage durch Wärme-Contracting

Aber auch das Gegenteil von Insourcing, das Outsourcing, dient den Konzernen zur Renditesteigerung. Dabei wird die bis dahin vom Vermietenden selbst betriebenen Heizung an Dritte ausgelagert. Dieses auch «Wärme-Contracting» genannte Geschäftsmodell steht hinter den meisten extrem hohen Nachforderungen für die Jahre 2021 und 2022. Ohne die Grundmiete zu reduzieren, entledigen sich Eigentümer*innen auf diese Weise der Verantwortung und der Kosten für den Betrieb, die Instandhaltung und die Erneuerung der Heizungsanlage. Mit dem Contractor wird meist ein mindestens 10 Jahre geltender Vertrag vereinbart. Der vereinbarte Preis wird auf die Mieter*innen umgelegt. Weil beim Wärme-Contracting der Betrieb der Heizungsanlage ausgelagert, die Miete aber nicht gesenkt wird, macht der Vermieter in jedem Fall einen Gewinn.

Noch einen Schritt weiter geht die Renditeoptimierung, wenn der Betreiber der outgesourcten Heizungsanlage vom Vermieter wiederum «ingesourced» wird, sprich, die Vermieter*innen selbst Eigentümer*innen des Wärme-Contractors sind.

Das ist der Fall bei der G + D Gesellschaft für Energiemanagement, einem Joint Venture des finanzdominierten Wärmedienstleisters GETEC mit der Deutsche Wohnen, heute Vonovia. Mehrere der aktuell besonders hohen und umstrittenen Wärmeabrechnungen gehen auf das Konto dieser Firma. Der Vonovia-Anteil an G+D beträgt 49 Prozent. G+D hatte 2021 kein eigenes Personal, dient also im Wesentlichen nur der Gewinnverteilung. Der Bilanzgewinn belief sich 2021, also vor den 2023 ermöglichten Extragewinnen, auf 4,9 Millionen Euro.

Börsenorientierte Preisgleitklauseln

Das Wärme-Contracting allein erklärt aber nicht, warum die Kosten für die Jahre 2021 und 2022 in manchen Fällen so extrem gestiegen sind. Der Grund liegt in der Preiskalkulation.

Der Wärmepreis setzt sich, wie auch von Strom- oder Gasverträgen bekannt, aus einem Grundpreis für die Bereitstellung der Wärme und einem Arbeitspreis für den gemessenen Wärmeverbrauch zusammen. Der Wärmedienstleister sichert sich mit sogenannten Preisänderungsklauseln gegen steigende Kosten ab. Die Grundpreise koppeln sie zum Beispiel an den branchenspezifischen Lohnindex des statistischen Bundesamtes. Bei der Anpassung der Arbeitspreise wird häufig auf einen Index der Leipziger Gaspreisbörse Bezug genommen. Hier lag in den Jahren 2021 und 2022 der Kern des Problems.

Die durchschnittlichen kurzfristigen Großhandelspreise an der Börse stiegen in diesen Jahren um ein Mehrfaches der ohnehin stark erhöhten allgemeinen Energiepreise. Die folgende Abbildung zeigt, wie unterschiedlich sich die verschiedenen Preisindexe entwickelt haben: Der Index des statistischen Bundesamtes für Erzeugerpreise Gas bei gewerblichen Abnehmern stieg im Herbst/Winter 2022 gegenüber Januar 2021 um 160 %. Da war eine extrem starke Erhöhung. Sie wurde aber getoppt durch den Index für den monatliche Börsenpreis für Gas (EGIX). Der betrug bereits im Winter 2021 das Sechffache des Jahresanfangs und steigerte sich bis zum Spätsommer 2022 auf das Dreizehnfache. Auf diesen EGIX beziehen sich die Preisgleitklauseln von Techem, Vattenfall und G+D.